Ottonisches Kruzifix

Noch aus dem Vorgängerbau stammt der überlebensgroße Kruzifixus hinter dem Altar. Das über zwei Meter hohe Bildwerk dürfte um 960 gefertigt worden sein und zeigt noch heute Reste der ursprünglichen Bemalung. Auffallend sind die geringe Modellierung des Körpers und die weichen Züge des Antlitzes. Bei Hippolyt, dessen Patrozinium das Stift Gerresheim lange getragen hat,  findet sich zum ersten Mal die großartige theologische Aussage: „Er hat sterbend die Arme ausgebreitet am Holze des Kreuzes.“

 

„Es steht das Kreuz, während die Welt sich dreht“

Das Triumphkreuz in der Gerresheimer Basilika

Aus einer Betrachtung von Monsignore Wilhelm Terboven

Kruzifix

Aus theologischen Gründen ist der Gerresheimer Kruzifixus überdimensioniert. Die unfassbare Dimension des Kreuzes, das bis an die Grenzen der Erde reicht, wird durch dieses einzigartige Kunstwerk ausgedrückt. Der heilige Isidor von Sevilla, gestorben 634, sagt: „Der Gekreuzigte reicht bis an die Enden der Erde.“ Der Corpus ist mit 2,10 Meter überlebensgroß. Die Arme haben eine Spannweite von 1,40 Meter. Die Gläubigen, die vor diesem Kreuz beten und die Eucharistie feiern, seit über 1000 Jahren - das Alter des Kreuzes wird nach den neuesten Untersuchungen auf das Jahr 960 geschätzt - dürfen sich sagen, dass der Gekreuzigte in Freude und Leid sie in seine Arme nimmt. Wer einen Menschen, sei es ein Kind oder einen Erwachsenen, in seine Arme holt, der drückt ihn notwendig auch an sein Herz.

Das geneigte Haupt, das Johannesevangelium spricht ausdrücklich davon, dürfen wir auch deuten als die Zuneigung Gottes in Jesus Christus zur sündigen Menschheit. Er schaut nach rechts, wo üblicherweise Maria, Typos der Kirche, unter dem Kreuz steht. Es lässt sich nicht eindeutig ausmachen, ob die Augen Christi geschlossen oder ein wenig geöffnet sind. Bei anderen Kreuzen zeigen die geöffneten Augen an, dass der Gekreuzigte zwar gestorben ist, aber lebt. Der Logos, das Wort des Vaters, der ewige Sohn, lebt.

In Gerresheim sKruzifixteht das Kreuz hinter dem Altar, der aus der Gründungszeit des Gotteshauses stammt, das 1236 eingeweiht wurde. Die Kunsthistoriker sind sich nicht einig, ob dies der ursprüngliche Platz ist, denn in der Regel standen die Kreuze auf einem Querbalken in der Vierung oder hingen an Seilen aus dem Gewölbe herab.

Thietmar von Merseburg, gestorben 1018, weit gereister Bischof und Kunstkenner, hat im Kölner Dom, wie Wilhelm Jordan berichtet, das Gerokreuz gesehen und gesagt: „Das Kreuz steht in der Mitte.“ Diese Formulierung ist nicht ganz eindeutig, stand es auf dem Boden des romanischen Domes oder auf einem Holzbalken in der Vierung?

Für unsere Betrachtung ist wichtig, was Bruno der Kartäuser, gestorben 1101, über sein erstes Kloster in den französischen Westalpen geschrieben hat, sinngemäß übersetzt: „Es steht das Kreuz, während die Welt sich dreht.“ Ein zeitgenössischer Kartäuser hat gesagt, dass Bruno nicht ein stilles Sich-Drehen meint, sondern eine Art Torkeln.

Es trifft sich gut, dass sich in St. Margareta die im späten neunten Jahrhundert nach Gerresheim gebrachten Reliquien des heiligen Hippolyt befinden, der viele großartige theologische Aussagen machte, unter anderem: „Jesus Christus ist das der Welt zugewandte Gesicht Gottes.“ Und der einzigartige Kruzifixus an einem Ort vereint die Gläubigen zur Nachdenklichkeit und regt zum Gebet an.

Es gibt also nicht nur in der Hohen Domkirche das weltbekannte Gerokreuz, das in etwa aus der gleichen Zeit stammt, sondern fast am Rande unseres Erzbistums ein Kreuz, das vermutlich von Erzbischof Gero zur Weihe des romanischen Vorgängerbaus der heutigen Basilika den Gerresheimer hochadligen Stiftsdamen geschenkt wurde.

 

Monsignore Wilhelm Terboven ist Subsidiar in St. Antonius, Düsseldorf-Oberkassel. Er war lange Jahre Pfarrer an St. Margareta in Düsseldorf-Gerresheim.

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