36. Woche 2021
Liebe Gemeindemitglieder,
Wie konnten die Menschen erkennen, dass es sich bei dem Zimmermannssohn Jesus aus Nazareth wirklich um den erwarteten Sohn Gottes und nicht um einen Lügner handelte? Von seiner Geburt bis heute ist die Unsicherheit virulent: “Bist du der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?” (Mt 11,3) Wer die Bibel des ersten Bundes kannte, der kannte auch die Erkennungszeichen des Gottessohnes. Sie finden sich im Buch des Propheten Jesaja, und darum sind sie heute als 1. Lesung dem Evangelium vorangestellt:
“Seht, euer Gott! (…) Er selbst kommt und wird euch retten. Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben werden geöffnet. Dann springt der Lahme wie ein Hirsch und die Zunge des Stummen frohlockt, denn in der Wüste sind Wasser hervorgebrochen und Flüsse in der Steppe. Der glühende Sand wird zum Teich und das durstige Land zu sprudelnden Wassern.”
Als Jesus am See von Galiläa in Gegenwart einiger Zeugen dem “Tauben die Ohren öffnet” und die “Zunge des Stummen frohlocken” lässt, da haben sie sich vielleicht an Jesajas Prophezeiung erinnert. Zumindest können einige nach dieser Heilung das Zeugnis geben: “Er hat alles gut gemacht; er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen.”
Übrigens finde ich in nicht wenigen Auslegungen, Impulsen, Liedern zu diesem Evangelium die Deutung, der Gehörlose sei ein Bild für uns Christen, die Ohren und Münder absichtlich für die Botschaft Jesu verschließen. Gewiss ist das manchmal so. Aber davon steht hier nichts. Hier steht ein Gehörloser, kein Renitent oder Sünder! Jesus heilt ihn nicht, weil dieser nicht hören/sprechen will, sondern weil er nicht kann! Deswegen findet sich hier auch nirgendwo ein erhobener Zeigefinger. Stattdessen die staunenswerte und befreiende Botschaft: Wenn ich Gott einfach nicht mehr hören kann, wenn Schicksale, Lebenskrisen, Sorgen und Skandale mir das Sprechen mit und von ihm unmöglich machen (und so etwas gibt es ja in jedem Leben) - genau dann darf ich von Gott Heilung erfahren. Für alles andere darf ich von ihm Vergebung erbitten. Gott sei Dank.
Ihr
Markus Herz, Pastoralreferent